Vorbeugen durch Verpackungen und Vorschriften

PACK aktuell 04-2004

Kindergesicherte Verpackungen können die Zahl der Vergiftungsunfälle bei Kindern reduzieren.
Allerdings gibt es in der Schweiz bisher noch keine klaren Bestimmungen, für welche Haushaltschemikalien kindergesicherte Verpackungen eingesetzt werden müssen. Doch das wird sich voraussichtlich bald ändern. Ab dem Jahr 2005 sollen auch in der Schweiz die EU-Vorschriften gelten.

Vor allem Kleinkinder unter fünf Jahren sind betroffen, wenn es um Vergiftungsunfälle im Haushalt geht. Der Grund: In diesem Alter ist es für Kinder noch relativ neu, sich aus eigener Kraft zu bewegen und auf Entdeckungsreise zu gehen. Die für Kleinkinder typische Neugier und Experimentierfreudigkeit führt dazu, dass sie so gut wie alles, was ihnen in die Hände kommt, testen, in den Mund nehmen und gegebenenfalls verschlucken. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder nicht an gefährliche Produkte wie z.B. Haushaltschemikalien und Pharmaprodukte gelangen. Eine Kombination aus unterschiedlichen Vorsichtsmaßnahmen kann dabei helfen, Vergiftungsunfälle zu reduzieren. Und in diesem Fall gilt: Je mehr Hindernisse ein Kund überwinden muss, um an die gefährlichen Substanzen zu gelangen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erwachsener die kindlichen Experimente mit den gefährlichen Produkten bemerkt und stoppt.

Kindergesicherte Verpackung ist wirksame Hürde

„Zwar sollten heikle Produkte grundsätzlich so aufbewahrt werden, daß sie für Kinder nicht erreichbar sind, doch das allein reicht meiner Meinung nach nicht aus. Sehr viele der uns gemeldeten Vergiftungsunfälle bei Kindern passieren nämlich, wenn die Aufsichtsperson kurzzeitig abgelenkt ist. Beispielweise, wenn beim Hausputz das Telefon klingelt und sämtliche Putzutensilien einschließlich Putzmittel am Boden stehen-also so, dass das Produkt für Kinder problemlos erreichbar ist. Deshalb bin ich auf jeden Fall dafür, dass heikle Haushaltschemikalien und Pharmaprodukte ausschließlich in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden. Solche Verpackungen sind im genannten Fall eine wirksame Hürde“, sagt Dr. Christine Rauber, Oberärztin am Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrum, Zürich.

Schweizer Vorschriften werden bald verschärft
Über die Wirksamkeit dieser Hürde hat sich auf der Gesetzgeber Gedanken gemacht: Gemäß Oliver Depallens von der Abteilung Chemikalien bei Bundesamt für Gesundheit in Bern sollten die Vorschriften in Sachsen kindergesicherte Verpackungen in der Schweiz verschärft werden. Oliver Depallens:“ In der Schweiz gibt es bisher keine klaren Bestimmungen, die festlegen, ob Haushaltschemikalien auf Grund von bestimmten Inhaltstoffen in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden müssen. Die in der Schweiz gültige Regelung besagt lediglich, dass Produkte der Giftklassse 5 in den Regalen der Selbstbedienungsläden höher als 1.20 aufbewahrt werden müssen, sodass sie für Kleinkinder nicht erreichbar sind. Wenn die Produkte dagegen mit einem kindergesicherten Verschluss ausgestattet sind, muss diese Regelung nicht beachtet werden. Anfangs 2005 wird sich das voraussichtlich ändern. Denn ab dem nächsten Jahr sollen die Schweizer Vorschriften an die EU-Bestimmungen angepasst werden. Und diese sagen ganz klar aus, welche Produkte in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden müssen.“ 

Verpackungen gibt wichtige Hinweise
Die Verpackung nimmt also eine wichtige Rolle ein, wenn es um das Vermeiden oder Reduzieren von Vergiftungsunfällen bei Kleinkindern geht. Für Christine Rauber vom Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrum ist die Verpackung auch aus einem anderen Grund unverzichtbar: „ Wenn sich ein Vergiftungsunfall ereignet hat, ist es sehr wichtig zu wissen, aus welchen Chemikalien das Produkt zusammengesetzt ist. Nur so können wir gezielt helfen. Im Ernstfall ist die Verpackung für uns eine unerlässliche Informationsquelle. Gefährliche Produkte sollten deshalb nie umgefüllt werden, denn dann gehen diese wertvollen Informationen verloren.“

Verlockungen vermeiden
Ein weiteres Problem, wenn Gefährliches nicht in der Originalverpackung aufbewahrt wird: Manche Verpackungen, in die gefährliche Produkte umgefüllt werden, können zu Verwechselungen führen (z.B. wenn es sich bei der“ Ersatzverpackung“ um eine Getränkeflasche handelt). Aus diesem oder ähnlichen Gründen hat sich schon so mancher Vergiftungsunfall ereignet. Und noch etwas merkt Christine Rauber in diesem Zusammenhang an: „Originelle Verpackungen helfen sicherlich dabei, ein Produkt erfolgreich zu verkaufen. Gefährliche Produkte sollten aber auf keinen Fall so verpackt sein, dass sie verlockend auf Kinder wirken. Wenn ein Produkt das Interesse eines Kindes überhaupt nicht weckt, ist die Gefahr auch relativ klein, dass es sich näher damit beschäftigt und sich eine Vergiftung zuzieht.“

„Unattraktive“ Verpackungen erwünscht
Mit einer breiten Auswahl an geeigneten kindergesicherten Verpackungen für gefährliche Produkte und der Missachtung gängiger Gestaltungsregeln, die besagen, dass Verpackungen attraktiv sein müssen, kann die Verpackungsindustrie etliches dazu beitragen, Vergiftungsunfälle bei Kleinkindern zu reduzieren.

 

Von Kindern auf Sicherheit getestet

Ob eine Verpackung kindergesichert ist oder nicht, wird in aufwändigen Tests nach bestimmten Normen überprüft. Als „Verpackungstester“ kommen Kinder zum Einsatz, die beliebig in Kindergärten ausgewählt werden. Speziell ausgebildete Prüfer protokollieren die Testergebnisse.

Kindergesicherte Verpackungen müssen nicht nur theoretisch funktionieren, sondern auch in der Praxis. Genaue Testvorschriften, die in den Normen ISO 8317 (entspricht weit gehend DIN EN 28317), DIN EN 862 und DIN EN 55559 festgelegt sind, sollen dafür sorgen, dass während der Prüfung möglichst authentische Bedingungen herrschen. Die Prüfmethodik des akkreditierten Instituts für Verpackungsmarktforschung ivm, in Braunschweig, Deutschland, basiert auf den besagten Normen. Geleitet werden diese Tests von Prüferinnen bzw. Prüfern, die speziell für die Arbeit mit Kleinkindern ausgebildet sind und regelmäßig auditiert werden.

“Und bist du nicht willig,…
Bei den Tests, sie in Kindergärten durchgeführt werden, ist die Spitzfindigkeit von Kleinkindern sozusagen der wichtigste Prüfungsbestandteil. Während der Prüfung müssen die Kinder versuchen, die zu prüfenden, mit Ersatzstoffen gefüllten Verpackungen innerhalb von fünf Minuten zu öffnen. Wenn ein Kind dabei seine Zähne benutzt oder die Packung auf den Boden wirft, wird es nicht davon abgehalten. Nach fünf Minuten wird den Kindern die die Packung nicht öffnen konnten, der Öffnungsvorgang demonstriert- allerdings ohne weitere Erklärung. Damit soll überprüft werden, ob die Verpackung auch dann die Auszeichnung „kindergesichert“ verdient, wenn das Kind einen Erwachsenen beim Anwenden von Haushaltschemikalien oder beim Einnehmen von Arzneimitteln beobachtet.

…dann brauch ich Gewalt“
Nachdem den Kindern beim Test gezeigt wurde, wie die Verpackung geöffnet wird, werden die erneut aufgefordert, die Verpackung zu öffnen. Sie werden bei diesem zweiten Versuch außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, „gewaltsam“ vorzugehen, das heißt, dass die ihre Zähne, Füße usw. zu Hilfe nehmen sollen. Auch bei diesem zweiten Versuch haben die Kinder fünf Minuten Zeit, Ihr Bestes zu geben.

Auswertung der Ergebnisse
Die Ergebnisse werden von den Prüfern, die die Tests leiten und beaufsichtigen, protokolliert. Eine Verpackung gilt als kindergesichert, wenn 85 Prozent einer Probandengruppe von 200 Kindern im Alter von 42 bis 51 Monaten innerhalb von fünf Minuten vor der Demonstration und 80 Prozent der Kinder nach der Demonstration nicht in der Lage sind, die Packung zu öffnen. Außerdem müssen 90 von 100 erwachsenen im Alter von 18 bis 65 Jahren in fünf Minuten die Verpackung öffnen und wieder verschließen können.

Zeitaufwändige Tests rechtzeitig starten
Das Regelwerk für die Zertifizierung ist sehr detailliert und berücksichtigt viele Faktoren. Es verwundert daher nicht, dass die Durchführung der Tests zeitaufwändig ist und vom Testbeginn bis zum Abschluss zwei Monate vergehen können. Deshalb ist es wichtig, die Tests so früh wie möglich durchführen zu lassen, wenn ein Produkt lanciert werden soll, dass gemäß Vorschriften in einer zertifizierten, kindergesicherten Verpackung angeboten werden muss.

Kindersicherheit wird kontrolliert
Verpackungen, die dem Großteil der Kinderhände standgehalten haben soll und laut Vorschriften kindergesichert sind, sind nach Abschluss der Tests für drei Jahren zertifiziert- vorausgesetzt, es erfolgen keine Änderungen an der geprüften Verpackungsversion. Einmal pro Vertragsjahr kontrolliert das ivm im Rahmen des Zertifizierungssystems die relevanten Parameter. Das Institut hat auch das Recht, durch unangemeldete Kontrollen Einsicht in die entsprechenden Unterlagen des Herstellers zu nehmen und dadurch stichprobenartig festzustellen, ob die entsprechenden Spezifikationen eingehalten werden. Werden an dem zertifizierten Gebinde Änderungen vorgenommen, gleich aus welchen Gründen, ist der Kunde verpflichtet, diese dem Institut unverzüglich und unaufgefordert anzuzeigen und falls erforderlich eine erneute Zertifizierung vorzunehmen.

 

Hindernisse für Kinderhände

Gefährliche Produkte gibt es in unterschiedlichsten Konsistenzen. Sie reichen von flüssig über pastös bis hin zu pulvrig und stückig. Für jede Darreichungsform bietet die Verpackungsindustrie passende kindergesicherte Verpackung an, wie die folgenden Beispiele zeigen. Der Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Haushaltschemikalien unter sicherem Verschluss
Bei kindergesicherten Verpackungen für Haushaltschemikalien handelt es ich- da das Füllgut in diesem Fall meistens flüssig ist-vor allem um Flaschen mit einer speziellen Verschlusskonstruktion. Dank dieser Konstruktion ist ein Entfernen des Verschlusses von der Flasche nur möglich, wenn zwei gegenläufige Bewegungen ausgeführt werden, die gleichzeitig erfolgen müssen (z.B. drücken und drehen). Schweizer Herstellerin von kindergesicherten Kunststoffverschlüssen ist z.B. die Herrmann AG in Walzenhausen.

Tuben mit Sicherheitsverschlüssen
Salben, Cremes und Gels-Produkte, die häufig in Tuben angeboten werden-lassen sich ebenfalls so verpacken, dass Kinder nicht so leicht damit in Berührung kommen. Zu den Anbietern von kindergesicherten Tuben gehören u.a. die Nussbaum Matzingen AG (ehemals Pressta AG), Kesswil, und die Tubendivision der Hoffmann Neopac AG (Standort Oberdiessbach). Bei den Tuben der Nussbaum Matzingen AG handelt es sich um Aluminiumtuben, die mit einem zweiteiligen, spritzgegossenen Kunstoffverschluss ausgestattet sind: Dieser besteht aus einem Schraubverschluss und einem Mündungsteil. Das Mündungsteil hat ein Außengewinde und eine angegossene Tubenschulter, die passgenau auf die Aluminiumtube aufgeprellt wird. Zwei in die Tubenschulter eingeformte Rasten sorgen in Kombination mit dem passenden Schraubverschluss dafür, dass der Verschluss kindergesichert ist (drücken und drehen). Ebenfallss mit Drück-Dreh-Verschluss kann die Hoffmann Neopac AG ihre für Pharmaprodukte geeigneten Polyfoil-Tuben anbieten.

Für Säfte, Pulver, Granulate und stückige Produkte
Pharmabehälter und –flaschen mit kindergesicherten Verschlüssen sind vielseitig einsetzbar: Je nach Form lassen sie sich für flüssige Arzneien, Pulver oder Granulate sowie Tabletten bzw. Kapseln verwenden. Wie bei sämtlichen zwei-oder mehrteiligen Verpackungen mit kindergesicherten Verschlüssen (z.B. Flaschen für Haushaltschemikalien, Tube usw.) werden die Verschlusskonstruktionen immer in Kombination mit den Behältern auf Kindersicherheit geprüft und zertifiziert. Zertifizierte und validierte Behälter, die mit kindergesicherten Verschlüssen ausgestattet sind, und die sich zum Verpacken von Tabletten und Kapseln eignen hat beispielsweise die Platohm AG in Füllinsdorf im Angebot.

Blister mit „Barrieren „ für Kinder
Auch Blister für Tabletten und Kapseln gibt es in kindergesicherter Ausführung: die Alcan Packing GmbH in D-Singen hat unterschiedliche Varianten entwickelt, die die Einnahme von Tabletten oder Kapseln für Kinder erschweren, sie aber trotzdem seniorenfreundlich sind. Wichtig bei einem kindergesicherten Blister: Die Siegelfolie, die den Blister verschließt, muss aus einem Material bestehen, das nicht weiterreißt. Sobald eine Tablette oder Kapsel durch die Folie gedrückt wurde, steht das durchstoßene Material in „Fetzen“ ab. Wird daran gezogen, müssen diese sofort abreißen, weil ansonsten andere Tabletten-Näpfchen durch einfaches Ziehen an den Folienfetzen geöffnet werden könnten. Reißt die Folie dagegen ab, muss zur Entnahme von weiteren Tabletten auf jeden Fall wieder auf den Blister gedrückt werden. Das erschwert für Kinder die Einnahme von weiteren Tabletten. Ein zusätzliches Sicherheitsplus bei kindergesicherten Blistern ist die „Blickdichtheit“. Sind Tabletten oder Kapseln blickdicht verhüllt, wirken sie weniger attraktiv auf Kinder als Pharmaprodukte, die in transparente Blister verpackt sind. Denn sobald die oftmals kräftig eingefärbten Tabletten oder Kapseln problemlos zu sehen sind, wecken sie das Interesse von Kindern. Diese könnten die Tabletten mit Süßigkeiten verwechseln.

Kindergesicherte Sekundärverpackungen
Blickdicht und kindergesichert lassen sich Blister auch in speziellen Sekundärverpackungen anbieten und aufbewahren, z.B. in der kindergesicherten Faltschachtel „Rondo-Safe“, die die Rondo AG, Allschwil, entwickelt hat. Der Öffnungsmechanismus und die Stabilität der Faltschachtel verhindern weitestgehend, dass Kinder an die darin verpackten Blister gelangen. Trotzdem lässt sich die Kartonverpackung von Senioren vergleichsweise schnell und einfach öffnen. Rondo-Safe kann innen und außen bedruckt werden. Das vollautomatische Aufrichten der Zuschnitte und das Einkleben der Blisterverpackungen ist mit einer Maschine der Rondo-Schwesterfirma Dividella möglich. Nicht nur Sekundärverpackungen aus Karton, sondern auch solche aus Weissblech oder Kunststoff können Kinder davon abhalten, an Blisterverpackungen zu gelangen: Die Division Weissblech der Hoffmann Neopac AG (Standort Thun) entwickelt derzeit ein Weissbelch-Etui für Blister, das mit kindergesichertem Verschluss ausgestattet ist. Auch die Plastohm AG (Schweizer Niederlassung in Füllinsdorf) beschäftigt sich mit der Entwicklung einer kindergesicherten Sekundärverpackung für Blister.

 

Kindergesicherte Verpackungen: Kommunikation tut dringend Not

Giftunfälle mit Haushaltschemikalien und Medikamenten sind ein Tabuthema. Dabei vergiften sich jährlich allein in der Schweiz bis zu 15000 Menschen mit Haushaltschemikalien oder Pharmaprodukten. 80 Prozent davon sind Kinder unter fünf Jahren. Weitere Fakten zu dem Thema im folgenden Interview. Gesprächspartner ist Dr. Horst Antonischki vom Institut für Verpackungsmarktforschung ivm.

Packaktuell: Von Giftunfällen bei Kindern hört und liest man in den Medien so gut wie nichts. Herr Antonischki, heißt das, dass die Vorkommnisse verschwindend gering sind?
Horst Antonischki: Leider ist das die falsche Schlussfolgerung. Die Zahlen sind im Gegenteil erschreckend hoch. Jährlich registriert das Toxikologische Notfallzentrum in der Schweiz um die 15000 Vergiftungsunfälle. 80 Prozent der Fälle betreffen Kleinkinder, die jünger sind als fünf Jahre. In Deutschland sieht die Situation umgerechnet aus die Einfwohnerzahl ähnlich aus. Dort ziehen sich nach Schätzungen der Ärztekammer und Giftzentralen jährlich zwischen 140000 und 200000 Kinder unter fünf Jahren Vergiftungen mit Haushaltschemikalien oder Pharmaprodukten zu. Zwanzigdavon sterben jedes Jahr an den Folgen der Vergiftungen, 15000 müssen ärztlich behandelt werden.

Wie stehen die Schweiz und Deutschland im internationalen Vergleich da?
Horst Antonischki: Zum Teil fällt die Bilanz in anderen Ländern noch trauriger aus. Denn einige Länder melden noch höhere Zahlen. Das renommierte Irish Medical Journal spricht beispielsweise davon, dass in Irland jährlich 15000 Kinder auf Grund von Vergiftungen im Spital behandelt werden müssen. Rund 75 Kinder überleben die Vergiftung nicht. Das lässt leider auch darauf schließen, dass die Dunkelziffer in Deutschland und in der Schweiz sehr hoch sind.

Angesichts dieser Zahlen ist es kaum zu verstehen, dass das Thema nicht öffentlich diskutiert wird. Warum geht Ihrer Meinung nach kein Aufschrei durch die Medien?
Horst Antonischki: In diesem Fall passt das Sprichwort „Wo kein Kläger, da kein Richter“ Für die meisten betroffenen Familien ist es schwierig, über einen solchen Vorfall öffentlich zu reden. Das kommt daher, weil sich die Eltern schuldig fühlen. Jeder weiß zwar, dass man Kleinkinder nicht rund um die Uhr ununterbrochen beaufsichtigen kann, doch die Eltern oder Aufsichtspersonen betroffener Kinder werfen sich selbst vor, dass sie ihre Aufsichtspflicht massiv verletzt haben. Deshalb schweigen viele aus Scham.

Leichte Vergiftungsfälle lassen sich sicherlich irgendwie verschweigen. Aber bei schweren Vergiftungsunfällen oder Todesfällen sind z.B. auch Ärzte involviert. Weshalb gibt es unter ihnen keine „Kläger“, die diese Problematik publik machen?
Horst Antonischki: Ärzte sind an ihre Schweigepflicht gebunden und dürfen solche Vorfälle nicht an die große Glocke hängen.
Und die Pharma- und Chemieindustrie, die diese Produkte herstellt, ist nicht daran interessiert, dass das Ganze öffentlich gemacht wird. Denn das würde Negativschlagzeilen für die betroffenen Unternehmen bedeuten.

Welche effizienten Lösungen gibt es, die helfen , diese Problematik in den Griff zu bekommen-auch wenn die meisten Betroffenen und Involvierten nicht über das Thema reden wollen?
Horst Antonischki: Würden alle heiklen Produkte in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden, wäre schon viel erreicht. Doch leider werden nicht alle Verpackungen, die als kindergesichert bezeichnet werden, ihrem Namen gerecht. Nur geprüfte und zertifizierte kindergesicherte Verpackungen bieten eine hohe Sicherheit. Damit diese Verpackungen aber auch tatsächlich Schutz bieten, müssen sie nicht nur kindergesichert, sondern auch erwachsenenfreundlich sein – insbesondere seniorenfreundlich sein.
Denn wenn eine kindergesicherte Verpackung auch für Erwachsene kaum zu öffnen ist, ist die Gefahr groß, dass der Inhalt umgefüllt wird. Tabletten kommen beispielweise in die gute alte Pillendose und Haushaltschemikalien in eine Flasche mit Schraubverschluss- also in Verpackungen, die kinderleicht zu öffnen sind. In solchen Fällen nützt die beste kindergesicherte Originalverpackung nichts.

Die Verpackungsindustrie bietet eine Auswahl an zertifizierten kindergesicherten und seniorenfreundlichen Verpackungen in den unterschiedlichsten Varianten an: beispielsweise gibt es Flaschen oder auch Tuben mit kindegesicherten Verschlüssen sowie kindergesicherte Pharmafaltschachteln. Da dürfte es doch nicht allzu schwer sein, für heikle Produkte die passende kindergesicherte Verpackung zu finden. Weshalb werden diese Verpackungen nicht für alle Produkte eingesetzt, für die dies eigentlich notwendig wäre?
Horst Antonischki: Das hat verschiedene Gründe. Zum Teil ist es Unwissenheit, wie gefährlich sich mansche Produkte auswirken können. Bei Ölen für Petroleumlampen war dies beispielsweise der Fall. Auf Grund ihrer Viskosität gelangen Öle bei Verschlucken nicht in die Speiseröhre, sondern zum Großteil in die Luftröhre und von dort aus in die Lunge. Das führt zu schweren Schäden und in vielen Fällen zum Tod. Leider mussten sich erst einige Vorfälle ereignen, damit die Gefährlichkeit dieses Produktes tatsächlich deutlich wurde. Übrigens sind in diese Hinsicht nicht nur Laien unwissend, sondern auch Fachleute. Eine Umfrage unter deutschen Ärzten hat gezeigt, dass rund 80 Prozent der Befragten nicht wussten, dass Lampenöle bereits beim Verschlucken von geringsten Mengen tödlich sein können. Inzwischen dürfen Lampenöle nur noch in Flaschen mit kindergesicherten Verschlüssen verkauft werden. Weil sich das Produkt derart gefährlich auswirkt, gibt es jetzt sogar eine Norm, die vorschreibt, dass auch Petroleumlampen kindergesichert sein müssen. Damit will man die Gefahr bannen, dass Kinder die Öle aus den Lampen trinken. Doch nicht nur Unwissenheit ist ein Problem. Zum Teil versucht die abpackende Industrie auch, den Einsatz von kindergesicherten Verpackungen bewusst zu umgehen und wendet stattdessen lediglich Sicherheitsverpackungen an, die nicht zertifiziert sind. Leider sind die meisten Kinder derart spitzfindig, dass sie diese „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ öffnen können.

Aus welchen Gründen setzen manche Firmen solche „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ ein?
Horst Antonischki: Von den Kosten her schneiden zertifizierte Sicherheitsverpackungen schlechter ab als „Mogel-Sicherheitsverpackungen“. Das heißt erstens, dass zertifizierte Verpackungen minimal teuer sind als nicht zertifizierte und zweitens – und das ist meist der entscheidende Grund – dass zertifizierte kindergesicherte Verpackungen die Leistung der Abfülllinie drosseln, denn sie können nicht so schnell verschlossen werden wie „Mogel-Sicherheitsverpackungen“. In der Regel haben Unternehmen, die diese bequemere und kostengünstigere Methode praktizieren, in Europa auch wenig zu befürchten. Zwar ist es gesetzlich festgelegt, welche Produkte in zertifizierte kindergesicherten Verpackungen angeboten werden müssen, doch mir ist in Deutschland kein Fall bekannt, bei dem eine Firma angeklagt wurde, die sich nicht an diese Vorschrift gehalten hat.

Könnten diese Mehrkosten, die durch kindergesicherte Verpackungen entstehen, nicht indirekt als Marketingkosten angesehen werden? Firmen, die kindergesicherte und für Erwachsene unproblematisch zu öffnende Verpackungen einsetzen, könnten dies dich auch als Werbeargument benutzen. Ganz nach dem Motto: Wir sind verantwortungsbewusst.
Horst Antonischki: Hier sprechen Sie ein weiteres Problem an. Die Firmen, die sich vorbildlich verhalten und gefährliche Produkte in zertifizierten kindergesicherten und zugleich seniorenfreundlichen Verpackungen anbieten, kommunizieren ihr verantwortungsbewusstes Verhalten nicht – und dies aus folgenden Grund. Die Firmen fürchten, dass Konsumenten die Produkte nicht mehr kaufen, weil sie sie für gefährlich halten.
Mir ist übrigens auch ein umgekehrter Fall bekannt: ein Hersteller von Haushaltschemikalien hatte jahrelang ein heikles Produkt in einer kindergesicherten Verpackung im Angebot. Als dieser Hersteller vor einiger Zeit die Rezeptur des Produktes geändert hat, dass eine kindergesicherte Verpackung nicht mehr nötig gewesen wäre, hat er diese trotzdem weiterverwendet. Die Begründung lautete: Wenn diese Haushaltschemikalie nach Jahren plötzlich in einer normalen Verpackung angeboten werden würde, würden Konsumenten die Reinigungswirkung anzweifeln.

Wenn nicht nur die Medien und die von Vergiftungsunfällen betroffenen Familien schweigen, sonder sogar diejenigen Firmen, die kindergesicherte Verpackungen einsetzen, ist es kein Wunder, dass die Gefahr, die von bestimmten Haushaltschemikalien und Pharmaprodukten ausgeht, nicht realisiert wird. Welche Möglichkeiten gibt es, um auf dieses totgeschwiegene Problem aufmerksam zu machen?
Horst Antonischki: Wir fordern die Firmen, die ihre Verpackungen bei uns prüfen und zertifizieren lassen, immer wieder dazu auf, klar zu kommunizieren, dass sie geprüfte und zertifizierte kindergesicherte Verpackungen einsetzen. Das Verschweigen der Vergiftungsproblematik verharmlost die tatsächliche Situation. Diese Verharmlosung führt unter anderem dazu, dass manche Firmen die bereits erwähnten „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ einsetzen. Denn: Wenn man nichts über das Thema hört oder liest, dann existiert es in den Köpfen der Leute nicht. Und weshalb sollte eine Firma Aufwand für etwas betreiben, da offensichtlich nicht der Rede wert ist? Es ist also dringend notwendig, dass die Öffentlichkeit sensibilisiert wird und in Fällen, in denen sich Firmen nicht an die gesetzlichen Vorschriften halten, sollte meiner Meinung nach härter durchgegriffen werden. In den USA würde es sich kaum eine Firma erlauben, ihre heiklen Produkte in „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ anzubieten, denn dort ist die Angst vor möglichen Schadenersatzklagen viel zu groß. Zwar finde ich viele der dort geführten Prozesse in Sachsen Schadenersatz überzogen, doch dass das Verwenden von „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ in Europa wie ein Kavaliersdelikt behandelt wird, ist für mich nicht nachvollziehbar. Erste Schritte in die richtige Richtung wurden bereits gemacht: Einige der in der EU gültigen Vorschriften wurden dahingehend verschärft, dass der Zwang, kindergesicherte Verpackungen einzusetzen, stärker wird.

 

Zertifizierung gewährt Rechtssicherheit

PackReport 04-2004

Kindergesicherte Verpackungen: Verschlüsse und Behälter gelten als Einheit
Um mit einer eigentlich geläufigen Banalität zu beginnen. Es gibt keine zertifizierungsfähigen kindergesicherten Verschlüsse. Ein Zertifikat kann nur eine Verpackung erlangen, bei der Behälter und Verschluss eine aufeinander abgestimmte Einheit bilden. Erteilt wird ein solches Zertifikat allein durch ein nach DIN EN 45011 akkreditiertes Institut. Dies folgert unmissverständlich aus der Gefahrstoffverordnung, der Zubereitungsrichtlinie 199/45/EG sowie der Richtlinie 1967/548/EWG. Nur Verpackungen mit gültigem Zertifikat gelten daher als kindergesichert um Sinne des Gesetzgebers. Der Einsatz von zertifizierten kindergesicherten Verpackungen ist für eine große Anzahl von Produkten durch gesetzliche Veränderungen mittlerweile vorgeschrieben.

Die in der Realität wiederzufindende Praxis gibt oft ein erschreckendes Bild wieder.Die

zum Einsatz gelangenden Verpackungen erfüllen die gesetzlichen Anforderungen weder durch Funktionsfähigkeit, geschweige denn durch das Vorhandensein der vorgeschriebenen Zertifikate. Im Fall eines Unfalls liegt es dann im Ermessen der Gerichte festzustellen, ob die Ignoranz des Themas Kindersicherheit fahrlässig oder vorsätzlich erfolgte. Das Feld angeblicher Missverständnisse ist sehr weit. Abfüller von gefährlichen Produkten glauben durch Begriffe wie Sicherheitskappen (oder ähnliches) oder durch das Vorhandensein von Drückpunkten am Verschluss, der ansonsten keine oder nur eine ungenügende Sperre aufweist, über Rechtssicherheit zu verfügen. Angeblich sichere Verschlüsse kommen auf ganz unterschiedlichen Verpackungsarten zum Einsatz, obwohl Zertifikate nur für die vollständige Verpackungen vergeben werden. Die Änderungen in den europäischen und deutschen gesetzlichen Bestimmungen und Normen werden übersehen. Gutachten, die nicht mit Zertifikaten zu verwechseln sind, bescheinigen auf nicht nachvollziehbare Weise Prüfergebnisse von nicht akkreditieren Stellen. Schließlich ist der letzte und häufigste Fall der, dass die verantwortlichen Personen von den bestehenden Regelungen einfach nichts wussten. Einige der aufgeführten Probleme könnten die Marktteilnehmer durch mehr Offenheit in der Kommunikation über den technischen Stand der Verpackungen lösen. Zwar ist der Abfüller als Inverkehrbringer dafür verantwortlich, die richtige Verpackung für das gefährliche Produkt einzusetzen. Das hilft dem Verpackungs- oder Verschlusshersteller aber wenig, wenn er seine Beratungspflicht nicht in der richtigen Weise und mit dem richtigen Nachdruck wahrnimmt. Bei nicht zertifizierten Verpackungen empfiehlt sich von der Herstellerseite folgende Formulierung in der Beschreibung der Verpackung um Unklarheiten auszuräumen.

„Bei den (Sicherheits-) Verschlüssen handelt es sich um nicht zertifizierte Verschlüsse mit einer erhöhten Sicherheit in Bezug auf eine ungewollte Öffnung. Diese Verschlüsse dürfen nicht für Gefahrenprodukte eingesetzt werden, die per Gesetz kindergesichert verpackt sein müssen.“

In allen Fällen, bei denen Zweifel oder Unklarheiten über den Verwendungszweck der Verpackungen oder über die Gefährlichkeit der Inhaltstoffe der abzufüllenden Produkte bestehen, kann man nur mit Nachdruck die Wichtigkeit des Einsatzes von zertifizierten kindergesicherten Verpackungen unterstreichen. Eine Frage, deren häufige Beantwortung aber bis heute nicht überall angekommen ist, lautet, welche Verpackung überhaupt kindergesichert in den Markt kommen müssen. Alle Marktteilnehmer, deren Produkte per Verordnung im Sinne des Kinderschutzes Gefahren wie Vergiftungen, Verätzungen, Reizungen oder gar schlimmeres auslösen können, müssen rechtsverbindlich klären lassen, ob die Verpackung ihres Produktes den verschärften Anforderungen entspricht. (Hilfestellung leistet zum Beispiel das ivm Institut VerpackungsMarktforschung, 38122 Braunschweig. E-Mail: info@ivm-child-safe.de. Details unter www.ivm-childsafe.de). Die gesetzlichen Grundlagen für die kindergesicherte Verpackung von gefährlichen Stoffen und Zubereitungen liefern die EU-Richtlinien 1999/45 und 1967/548. Die Gefahrstoffverordnung überführt die EU-Bestimmungen in die nationale Gesetzgebung.Zubereitungen werden als gefährlich eingestuft, sofern deren Inhaltsstoffe nach 1967/548 EWG Anhang 1 entsprechend eingestuft und in bestimmten Konzentrationen eingehalten sind. Diese Einstufung bildet die Basis für die gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf die Kennzeichnung sowie die kindergesicherte Verpackung. Die Kennzeichnung erfolgt durch Gefahrensymbole und Hinweise durch R- bzw. S-Sätze. Auf Grundlage der zum Einsatz kommenden Gefahrensymbole und R-Sätze erfolgt die Verpflichtung zum Einsatz von kindergesicherten Verpackungen. Der Inverkehrbringer von gefährlichen Stoffen oder Zubereitungen ist für die Einhaltung der Bestimmungen zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung verantwortlich. Eine Verpackung kann auch 1967/548 EWG nur dann als kindergesicherte Verpackung bezeichnet werden, wenn sie nach den dafür bestehenden Normen ISO 8317 (Ausgabe 4-2003 für wiederverschließbare Packungen) bzw. DIN EN 862 Ausgabe 2001 für nicht wieder verschließbare Verpackungen nichtpharmazeutischer Produkte oder DIN EN 14375 Ausgabe 2-2004 für nicht wieder verschließbare Verpackungen pharmazeutischer Produkte zertifiziert ist. Zur Vergabe ist lediglich ein nach EN 45011 akkreditiertes Institut nach Durchführung eines erfolgreichen Prüfverfahrens berechtigt. Unabhängig von dem zum Einsatz kommenden Verschlussmechanismus der Verpackung gewährt lediglich ein gültiges Zertifikat Sicherheit im Falle eines Unfalls oder Unglück. Im Zuge des Inkrafttretens der Richtlinie 1999/45 ist es zur Änderung einiger wesentlicher vormals geltender Bestimmungen gekommen. Die Regelungen für die Einstufung von Zubereitungen hinsichtlich Gefährlichkeit wurden durch die neue Festlegung von Konzentrationsgrenzen für gefährliche Stoffe verschärft. Dies hat zur Folge, dass sich auch wesentliche Änderungen für die Kennzeichnung und Verpackung der Zubereitung ergeben. Eine mögliche Folge besteht in der jetzt bestehenden Verpflichtung zur Kennzeichnung von Zubereitungen mit den Gefahrensymbol GIFTIG und UMWELTGEFÄHRLICCH, die früher nur als REIZEND gekennzeichnet werden mussten. Für viele Zubereitungen folgt nun die gesetzliche Verpflichtung zum Einsatz von zertifizierten kindergesicherten Verpackungen bei denen diese früher auf freiwilliger Basis erfolgte. Die Anzahl von eingesetzten kindergesicherten Verpackungen wird also zu Zukunft stark zunehmen. Mit der Einführung der Zubereitungsrichtlinie 1999/45 gilt diese seit dem 30. Juli 2002 auch für Schädlingsbekämpfungsmitteln und Pflanzenschutzmittel. Die festgelegte Übergangsfrist für die Umstellung in der Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung der Produkte endet am 30. Juli 2004. Im Zuge der Angleichung der nationalen Gesetzgebung wurde daher auch die Gefahrstoffverordnung angepasst und die Regelung, die eine Verpflichtung zum Einsatz von kindergesicherten Verpackungen nur für Verpackungen von Schädlingsbekämpfungsmitteln bis zu einem Volumen von drei Litern vorgeschrien hat, aufgehoben. Eine wichtige Neuerung in den Normen zu kindergesicherten Verpackungen besteht in der Änderung der ISO 8317 von 2003. Auch Inhaber von bestehenden Zertifikaten sollten diese daher überprüfen lassen. Eine wesentliche Änderung im Erwachsenentest besagt, dass nunmehr Personen zwischen 50 und 70 Jahren getestet werden, wovon wiederrum 50 Prozent zwischen 60 und 70 Jahre alt sein müssen. Bisher wurden Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren in die Tests einbezogen. Kindergesicherte Verpackungen werden also in Zukunft mögliche Probleme älterer Menschen bei gleich bleibendem Sicherheitsniveau besser berücksichtigen müssen. Für die Inverkehrbringer ebenso wie für Verpackungshersteller gewinnt damit der Begriff „seniorenfriendly“ eine ganz neue Bedeutung. Verantwortungsbewusste Anbieter haben schon immer dafür gesorgt, dass nur normenkonform zertifizierte Verpackungen in den Markt gelangen. Sie haben schlichtweg realisiert, dass auch zum Schutz ihres eigenen Unternehmens, z. B. Im Fall eines Unglücks oder Unfalls, nur eine Zertifizierung Rechtssicherheit gewährt und auch Imageschaden vermeidet. Wer die Wichtigkeit oder die gesetzliche Verpflichtung zu kindergesicherten Verpackungen erkennt bzw. feststellt, ist aufgefordert den Einsatz von zertifizierten kindergesicherten Verpackungen sicherzustellen. Ein weiterer Gesichtspunkt rückt jetzt in den Vordergrund. Unter dem Aspekt eines immer härter werdenden Wettbewerbs spielt die zertifizierte Verpackung eine ebenfalls stark wachsende Rolle. Die Abgrenzung einer kindergesicherten und gleichzeitig seniorenfreundlichen Verpackung von unsicheren Sicherheitskappen stärkt deutlich das Qualitätsimage guter Produkte. Durch ein gezieltes Branding verstärken zurzeit führende Unternehmen die Marktwirkung durch eine entsprechende Positionierung im Markt. Die eindeutige Kennzeichnung von zertifizierten Verpackungen wird somit als Profilierungsinstrument ebenso eingesetzt wie als kundenfreundlicher Hinweis auf die Qualität vom Produkt , Verpackung und Inverkehrbringer. Kontakt: Institut für VerpackungsMarktforschung (IVM), Braunschweig, www.ivm-childsafe.de

Vorbeugen durch Verpackungen und Vorschriften

PACK aktuell 04-2004

Kindergesicherte Verpackungen können die Zahl der Vergiftungsunfälle bei Kindern reduzieren.
Allerdings gibt es in der Schweiz bisher noch keine klaren Bestimmungen, für welche Haushaltschemikalien kindergesicherte Verpackungen eingesetzt werden müssen. Doch das wird sich voraussichtlich bald ändern. Ab dem Jahr 2005 sollen auch in der Schweiz die EU-Vorschriften gelten.

Vor allem Kleinkinder unter fünf Jahren sind betroffen, wenn es um Vergiftungsunfälle im Haushalt geht. Der Grund: In diesem Alter ist es für Kinder noch relativ neu, sich aus eigener Kraft zu bewegen und auf Entdeckungsreise zu gehen. Die für Kleinkinder typische Neugier und Experimentierfreudigkeit führt dazu, dass sie so gut wie alles, was ihnen in die Hände kommt, testen, in den Mund nehmen und gegebenenfalls verschlucken. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder nicht an gefährliche Produkte wie z.B. Haushaltschemikalien und Pharmaprodukte gelangen. Eine Kombination aus unterschiedlichen Vorsichtsmaßnahmen kann dabei helfen, Vergiftungsunfälle zu reduzieren. Und in diesem Fall gilt: Je mehr Hindernisse ein Kund überwinden muss, um an die gefährlichen Substanzen zu gelangen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erwachsener die kindlichen Experimente mit den gefährlichen Produkten bemerkt und stoppt.

Kindergesicherte Verpackung ist wirksame Hürde

„Zwar sollten heikle Produkte grundsätzlich so aufbewahrt werden, daß sie für Kinder nicht erreichbar sind, doch das allein reicht meiner Meinung nach nicht aus. Sehr viele der uns gemeldeten Vergiftungsunfälle bei Kindern passieren nämlich, wenn die Aufsichtsperson kurzzeitig abgelenkt ist. Beispielweise, wenn beim Hausputz das Telefon klingelt und sämtliche Putzutensilien einschließlich Putzmittel am Boden stehen-also so, dass das Produkt für Kinder problemlos erreichbar ist. Deshalb bin ich auf jeden Fall dafür, dass heikle Haushaltschemikalien und Pharmaprodukte ausschließlich in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden. Solche Verpackungen sind im genannten Fall eine wirksame Hürde“, sagt Dr. Christine Rauber, Oberärztin am Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrum, Zürich.

Schweizer Vorschriften werden bald verschärft
Über die Wirksamkeit dieser Hürde hat sich auf der Gesetzgeber Gedanken gemacht: Gemäß Oliver Depallens von der Abteilung Chemikalien bei Bundesamt für Gesundheit in Bern sollten die Vorschriften in Sachsen kindergesicherte Verpackungen in der Schweiz verschärft werden. Oliver Depallens:“ In der Schweiz gibt es bisher keine klaren Bestimmungen, die festlegen, ob Haushaltschemikalien auf Grund von bestimmten Inhaltstoffen in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden müssen. Die in der Schweiz gültige Regelung besagt lediglich, dass Produkte der Giftklassse 5 in den Regalen der Selbstbedienungsläden höher als 1.20 aufbewahrt werden müssen, sodass sie für Kleinkinder nicht erreichbar sind. Wenn die Produkte dagegen mit einem kindergesicherten Verschluss ausgestattet sind, muss diese Regelung nicht beachtet werden. Anfangs 2005 wird sich das voraussichtlich ändern. Denn ab dem nächsten Jahr sollen die Schweizer Vorschriften an die EU-Bestimmungen angepasst werden. Und diese sagen ganz klar aus, welche Produkte in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden müssen.“ 

Verpackungen gibt wichtige Hinweise
Die Verpackung nimmt also eine wichtige Rolle ein, wenn es um das Vermeiden oder Reduzieren von Vergiftungsunfällen bei Kleinkindern geht. Für Christine Rauber vom Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrum ist die Verpackung auch aus einem anderen Grund unverzichtbar: „ Wenn sich ein Vergiftungsunfall ereignet hat, ist es sehr wichtig zu wissen, aus welchen Chemikalien das Produkt zusammengesetzt ist. Nur so können wir gezielt helfen. Im Ernstfall ist die Verpackung für uns eine unerlässliche Informationsquelle. Gefährliche Produkte sollten deshalb nie umgefüllt werden, denn dann gehen diese wertvollen Informationen verloren.“

Verlockungen vermeiden
Ein weiteres Problem, wenn Gefährliches nicht in der Originalverpackung aufbewahrt wird: Manche Verpackungen, in die gefährliche Produkte umgefüllt werden, können zu Verwechselungen führen (z.B. wenn es sich bei der“ Ersatzverpackung“ um eine Getränkeflasche handelt). Aus diesem oder ähnlichen Gründen hat sich schon so mancher Vergiftungsunfall ereignet. Und noch etwas merkt Christine Rauber in diesem Zusammenhang an: „Originelle Verpackungen helfen sicherlich dabei, ein Produkt erfolgreich zu verkaufen. Gefährliche Produkte sollten aber auf keinen Fall so verpackt sein, dass sie verlockend auf Kinder wirken. Wenn ein Produkt das Interesse eines Kindes überhaupt nicht weckt, ist die Gefahr auch relativ klein, dass es sich näher damit beschäftigt und sich eine Vergiftung zuzieht.“

„Unattraktive“ Verpackungen erwünscht
Mit einer breiten Auswahl an geeigneten kindergesicherten Verpackungen für gefährliche Produkte und der Missachtung gängiger Gestaltungsregeln, die besagen, dass Verpackungen attraktiv sein müssen, kann die Verpackungsindustrie etliches dazu beitragen, Vergiftungsunfälle bei Kleinkindern zu reduzieren.

 

Von Kindern auf Sicherheit getestet

Ob eine Verpackung kindergesichert ist oder nicht, wird in aufwändigen Tests nach bestimmten Normen überprüft. Als „Verpackungstester“ kommen Kinder zum Einsatz, die beliebig in Kindergärten ausgewählt werden. Speziell ausgebildete Prüfer protokollieren die Testergebnisse.

Kindergesicherte Verpackungen müssen nicht nur theoretisch funktionieren, sondern auch in der Praxis. Genaue Testvorschriften, die in den Normen ISO 8317 (entspricht weit gehend DIN EN 28317), DIN EN 862 und DIN EN 55559 festgelegt sind, sollen dafür sorgen, dass während der Prüfung möglichst authentische Bedingungen herrschen. Die Prüfmethodik des akkreditierten Instituts für Verpackungsmarktforschung ivm, in Braunschweig, Deutschland, basiert auf den besagten Normen. Geleitet werden diese Tests von Prüferinnen bzw. Prüfern, die speziell für die Arbeit mit Kleinkindern ausgebildet sind und regelmäßig auditiert werden.

“Und bist du nicht willig,…
Bei den Tests, sie in Kindergärten durchgeführt werden, ist die Spitzfindigkeit von Kleinkindern sozusagen der wichtigste Prüfungsbestandteil. Während der Prüfung müssen die Kinder versuchen, die zu prüfenden, mit Ersatzstoffen gefüllten Verpackungen innerhalb von fünf Minuten zu öffnen. Wenn ein Kind dabei seine Zähne benutzt oder die Packung auf den Boden wirft, wird es nicht davon abgehalten. Nach fünf Minuten wird den Kindern die die Packung nicht öffnen konnten, der Öffnungsvorgang demonstriert- allerdings ohne weitere Erklärung. Damit soll überprüft werden, ob die Verpackung auch dann die Auszeichnung „kindergesichert“ verdient, wenn das Kind einen Erwachsenen beim Anwenden von Haushaltschemikalien oder beim Einnehmen von Arzneimitteln beobachtet.

…dann brauch ich Gewalt“
Nachdem den Kindern beim Test gezeigt wurde, wie die Verpackung geöffnet wird, werden die erneut aufgefordert, die Verpackung zu öffnen. Sie werden bei diesem zweiten Versuch außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, „gewaltsam“ vorzugehen, das heißt, dass die ihre Zähne, Füße usw. zu Hilfe nehmen sollen. Auch bei diesem zweiten Versuch haben die Kinder fünf Minuten Zeit, Ihr Bestes zu geben.

Auswertung der Ergebnisse
Die Ergebnisse werden von den Prüfern, die die Tests leiten und beaufsichtigen, protokolliert. Eine Verpackung gilt als kindergesichert, wenn 85 Prozent einer Probandengruppe von 200 Kindern im Alter von 42 bis 51 Monaten innerhalb von fünf Minuten vor der Demonstration und 80 Prozent der Kinder nach der Demonstration nicht in der Lage sind, die Packung zu öffnen. Außerdem müssen 90 von 100 erwachsenen im Alter von 18 bis 65 Jahren in fünf Minuten die Verpackung öffnen und wieder verschließen können.

Zeitaufwändige Tests rechtzeitig starten
Das Regelwerk für die Zertifizierung ist sehr detailliert und berücksichtigt viele Faktoren. Es verwundert daher nicht, dass die Durchführung der Tests zeitaufwändig ist und vom Testbeginn bis zum Abschluss zwei Monate vergehen können. Deshalb ist es wichtig, die Tests so früh wie möglich durchführen zu lassen, wenn ein Produkt lanciert werden soll, dass gemäß Vorschriften in einer zertifizierten, kindergesicherten Verpackung angeboten werden muss.

Kindersicherheit wird kontrolliert
Verpackungen, die dem Großteil der Kinderhände standgehalten haben soll und laut Vorschriften kindergesichert sind, sind nach Abschluss der Tests für drei Jahren zertifiziert- vorausgesetzt, es erfolgen keine Änderungen an der geprüften Verpackungsversion. Einmal pro Vertragsjahr kontrolliert das ivm im Rahmen des Zertifizierungssystems die relevanten Parameter. Das Institut hat auch das Recht, durch unangemeldete Kontrollen Einsicht in die entsprechenden Unterlagen des Herstellers zu nehmen und dadurch stichprobenartig festzustellen, ob die entsprechenden Spezifikationen eingehalten werden. Werden an dem zertifizierten Gebinde Änderungen vorgenommen, gleich aus welchen Gründen, ist der Kunde verpflichtet, diese dem Institut unverzüglich und unaufgefordert anzuzeigen und falls erforderlich eine erneute Zertifizierung vorzunehmen.

 

Hindernisse für Kinderhände

Gefährliche Produkte gibt es in unterschiedlichsten Konsistenzen. Sie reichen von flüssig über pastös bis hin zu pulvrig und stückig. Für jede Darreichungsform bietet die Verpackungsindustrie passende kindergesicherte Verpackung an, wie die folgenden Beispiele zeigen. Der Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Haushaltschemikalien unter sicherem Verschluss
Bei kindergesicherten Verpackungen für Haushaltschemikalien handelt es ich- da das Füllgut in diesem Fall meistens flüssig ist-vor allem um Flaschen mit einer speziellen Verschlusskonstruktion. Dank dieser Konstruktion ist ein Entfernen des Verschlusses von der Flasche nur möglich, wenn zwei gegenläufige Bewegungen ausgeführt werden, die gleichzeitig erfolgen müssen (z.B. drücken und drehen). Schweizer Herstellerin von kindergesicherten Kunststoffverschlüssen ist z.B. die Herrmann AG in Walzenhausen.

Tuben mit Sicherheitsverschlüssen
Salben, Cremes und Gels-Produkte, die häufig in Tuben angeboten werden-lassen sich ebenfalls so verpacken, dass Kinder nicht so leicht damit in Berührung kommen. Zu den Anbietern von kindergesicherten Tuben gehören u.a. die Nussbaum Matzingen AG (ehemals Pressta AG), Kesswil, und die Tubendivision der Hoffmann Neopac AG (Standort Oberdiessbach). Bei den Tuben der Nussbaum Matzingen AG handelt es sich um Aluminiumtuben, die mit einem zweiteiligen, spritzgegossenen Kunstoffverschluss ausgestattet sind: Dieser besteht aus einem Schraubverschluss und einem Mündungsteil. Das Mündungsteil hat ein Außengewinde und eine angegossene Tubenschulter, die passgenau auf die Aluminiumtube aufgeprellt wird. Zwei in die Tubenschulter eingeformte Rasten sorgen in Kombination mit dem passenden Schraubverschluss dafür, dass der Verschluss kindergesichert ist (drücken und drehen). Ebenfallss mit Drück-Dreh-Verschluss kann die Hoffmann Neopac AG ihre für Pharmaprodukte geeigneten Polyfoil-Tuben anbieten.

Für Säfte, Pulver, Granulate und stückige Produkte
Pharmabehälter und –flaschen mit kindergesicherten Verschlüssen sind vielseitig einsetzbar: Je nach Form lassen sie sich für flüssige Arzneien, Pulver oder Granulate sowie Tabletten bzw. Kapseln verwenden. Wie bei sämtlichen zwei-oder mehrteiligen Verpackungen mit kindergesicherten Verschlüssen (z.B. Flaschen für Haushaltschemikalien, Tube usw.) werden die Verschlusskonstruktionen immer in Kombination mit den Behältern auf Kindersicherheit geprüft und zertifiziert. Zertifizierte und validierte Behälter, die mit kindergesicherten Verschlüssen ausgestattet sind, und die sich zum Verpacken von Tabletten und Kapseln eignen hat beispielsweise die Platohm AG in Füllinsdorf im Angebot.

Blister mit „Barrieren „ für Kinder
Auch Blister für Tabletten und Kapseln gibt es in kindergesicherter Ausführung: die Alcan Packing GmbH in D-Singen hat unterschiedliche Varianten entwickelt, die die Einnahme von Tabletten oder Kapseln für Kinder erschweren, sie aber trotzdem seniorenfreundlich sind. Wichtig bei einem kindergesicherten Blister: Die Siegelfolie, die den Blister verschließt, muss aus einem Material bestehen, das nicht weiterreißt. Sobald eine Tablette oder Kapsel durch die Folie gedrückt wurde, steht das durchstoßene Material in „Fetzen“ ab. Wird daran gezogen, müssen diese sofort abreißen, weil ansonsten andere Tabletten-Näpfchen durch einfaches Ziehen an den Folienfetzen geöffnet werden könnten. Reißt die Folie dagegen ab, muss zur Entnahme von weiteren Tabletten auf jeden Fall wieder auf den Blister gedrückt werden. Das erschwert für Kinder die Einnahme von weiteren Tabletten. Ein zusätzliches Sicherheitsplus bei kindergesicherten Blistern ist die „Blickdichtheit“. Sind Tabletten oder Kapseln blickdicht verhüllt, wirken sie weniger attraktiv auf Kinder als Pharmaprodukte, die in transparente Blister verpackt sind. Denn sobald die oftmals kräftig eingefärbten Tabletten oder Kapseln problemlos zu sehen sind, wecken sie das Interesse von Kindern. Diese könnten die Tabletten mit Süßigkeiten verwechseln.

Kindergesicherte Sekundärverpackungen
Blickdicht und kindergesichert lassen sich Blister auch in speziellen Sekundärverpackungen anbieten und aufbewahren, z.B. in der kindergesicherten Faltschachtel „Rondo-Safe“, die die Rondo AG, Allschwil, entwickelt hat. Der Öffnungsmechanismus und die Stabilität der Faltschachtel verhindern weitestgehend, dass Kinder an die darin verpackten Blister gelangen. Trotzdem lässt sich die Kartonverpackung von Senioren vergleichsweise schnell und einfach öffnen. Rondo-Safe kann innen und außen bedruckt werden. Das vollautomatische Aufrichten der Zuschnitte und das Einkleben der Blisterverpackungen ist mit einer Maschine der Rondo-Schwesterfirma Dividella möglich. Nicht nur Sekundärverpackungen aus Karton, sondern auch solche aus Weissblech oder Kunststoff können Kinder davon abhalten, an Blisterverpackungen zu gelangen: Die Division Weissblech der Hoffmann Neopac AG (Standort Thun) entwickelt derzeit ein Weissbelch-Etui für Blister, das mit kindergesichertem Verschluss ausgestattet ist. Auch die Plastohm AG (Schweizer Niederlassung in Füllinsdorf) beschäftigt sich mit der Entwicklung einer kindergesicherten Sekundärverpackung für Blister.

 

Kindergesicherte Verpackungen: Kommunikation tut dringend Not

Giftunfälle mit Haushaltschemikalien und Medikamenten sind ein Tabuthema. Dabei vergiften sich jährlich allein in der Schweiz bis zu 15000 Menschen mit Haushaltschemikalien oder Pharmaprodukten. 80 Prozent davon sind Kinder unter fünf Jahren. Weitere Fakten zu dem Thema im folgenden Interview. Gesprächspartner ist Dr. Horst Antonischki vom Institut für Verpackungsmarktforschung ivm.

Packaktuell: Von Giftunfällen bei Kindern hört und liest man in den Medien so gut wie nichts. Herr Antonischki, heißt das, dass die Vorkommnisse verschwindend gering sind?
Horst Antonischki: Leider ist das die falsche Schlussfolgerung. Die Zahlen sind im Gegenteil erschreckend hoch. Jährlich registriert das Toxikologische Notfallzentrum in der Schweiz um die 15000 Vergiftungsunfälle. 80 Prozent der Fälle betreffen Kleinkinder, die jünger sind als fünf Jahre. In Deutschland sieht die Situation umgerechnet aus die Einfwohnerzahl ähnlich aus. Dort ziehen sich nach Schätzungen der Ärztekammer und Giftzentralen jährlich zwischen 140000 und 200000 Kinder unter fünf Jahren Vergiftungen mit Haushaltschemikalien oder Pharmaprodukten zu. Zwanzigdavon sterben jedes Jahr an den Folgen der Vergiftungen, 15000 müssen ärztlich behandelt werden.

Wie stehen die Schweiz und Deutschland im internationalen Vergleich da?
Horst Antonischki: Zum Teil fällt die Bilanz in anderen Ländern noch trauriger aus. Denn einige Länder melden noch höhere Zahlen. Das renommierte Irish Medical Journal spricht beispielsweise davon, dass in Irland jährlich 15000 Kinder auf Grund von Vergiftungen im Spital behandelt werden müssen. Rund 75 Kinder überleben die Vergiftung nicht. Das lässt leider auch darauf schließen, dass die Dunkelziffer in Deutschland und in der Schweiz sehr hoch sind.

Angesichts dieser Zahlen ist es kaum zu verstehen, dass das Thema nicht öffentlich diskutiert wird. Warum geht Ihrer Meinung nach kein Aufschrei durch die Medien?
Horst Antonischki: In diesem Fall passt das Sprichwort „Wo kein Kläger, da kein Richter“ Für die meisten betroffenen Familien ist es schwierig, über einen solchen Vorfall öffentlich zu reden. Das kommt daher, weil sich die Eltern schuldig fühlen. Jeder weiß zwar, dass man Kleinkinder nicht rund um die Uhr ununterbrochen beaufsichtigen kann, doch die Eltern oder Aufsichtspersonen betroffener Kinder werfen sich selbst vor, dass sie ihre Aufsichtspflicht massiv verletzt haben. Deshalb schweigen viele aus Scham.

Leichte Vergiftungsfälle lassen sich sicherlich irgendwie verschweigen. Aber bei schweren Vergiftungsunfällen oder Todesfällen sind z.B. auch Ärzte involviert. Weshalb gibt es unter ihnen keine „Kläger“, die diese Problematik publik machen?
Horst Antonischki: Ärzte sind an ihre Schweigepflicht gebunden und dürfen solche Vorfälle nicht an die große Glocke hängen.
Und die Pharma- und Chemieindustrie, die diese Produkte herstellt, ist nicht daran interessiert, dass das Ganze öffentlich gemacht wird. Denn das würde Negativschlagzeilen für die betroffenen Unternehmen bedeuten.

Welche effizienten Lösungen gibt es, die helfen , diese Problematik in den Griff zu bekommen-auch wenn die meisten Betroffenen und Involvierten nicht über das Thema reden wollen?
Horst Antonischki: Würden alle heiklen Produkte in kindergesicherten Verpackungen angeboten werden, wäre schon viel erreicht. Doch leider werden nicht alle Verpackungen, die als kindergesichert bezeichnet werden, ihrem Namen gerecht. Nur geprüfte und zertifizierte kindergesicherte Verpackungen bieten eine hohe Sicherheit. Damit diese Verpackungen aber auch tatsächlich Schutz bieten, müssen sie nicht nur kindergesichert, sondern auch erwachsenenfreundlich sein – insbesondere seniorenfreundlich sein.
Denn wenn eine kindergesicherte Verpackung auch für Erwachsene kaum zu öffnen ist, ist die Gefahr groß, dass der Inhalt umgefüllt wird. Tabletten kommen beispielweise in die gute alte Pillendose und Haushaltschemikalien in eine Flasche mit Schraubverschluss- also in Verpackungen, die kinderleicht zu öffnen sind. In solchen Fällen nützt die beste kindergesicherte Originalverpackung nichts.

Die Verpackungsindustrie bietet eine Auswahl an zertifizierten kindergesicherten und seniorenfreundlichen Verpackungen in den unterschiedlichsten Varianten an: beispielsweise gibt es Flaschen oder auch Tuben mit kindegesicherten Verschlüssen sowie kindergesicherte Pharmafaltschachteln. Da dürfte es doch nicht allzu schwer sein, für heikle Produkte die passende kindergesicherte Verpackung zu finden. Weshalb werden diese Verpackungen nicht für alle Produkte eingesetzt, für die dies eigentlich notwendig wäre?
Horst Antonischki: Das hat verschiedene Gründe. Zum Teil ist es Unwissenheit, wie gefährlich sich mansche Produkte auswirken können. Bei Ölen für Petroleumlampen war dies beispielsweise der Fall. Auf Grund ihrer Viskosität gelangen Öle bei Verschlucken nicht in die Speiseröhre, sondern zum Großteil in die Luftröhre und von dort aus in die Lunge. Das führt zu schweren Schäden und in vielen Fällen zum Tod. Leider mussten sich erst einige Vorfälle ereignen, damit die Gefährlichkeit dieses Produktes tatsächlich deutlich wurde. Übrigens sind in diese Hinsicht nicht nur Laien unwissend, sondern auch Fachleute. Eine Umfrage unter deutschen Ärzten hat gezeigt, dass rund 80 Prozent der Befragten nicht wussten, dass Lampenöle bereits beim Verschlucken von geringsten Mengen tödlich sein können. Inzwischen dürfen Lampenöle nur noch in Flaschen mit kindergesicherten Verschlüssen verkauft werden. Weil sich das Produkt derart gefährlich auswirkt, gibt es jetzt sogar eine Norm, die vorschreibt, dass auch Petroleumlampen kindergesichert sein müssen. Damit will man die Gefahr bannen, dass Kinder die Öle aus den Lampen trinken. Doch nicht nur Unwissenheit ist ein Problem. Zum Teil versucht die abpackende Industrie auch, den Einsatz von kindergesicherten Verpackungen bewusst zu umgehen und wendet stattdessen lediglich Sicherheitsverpackungen an, die nicht zertifiziert sind. Leider sind die meisten Kinder derart spitzfindig, dass sie diese „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ öffnen können.

Aus welchen Gründen setzen manche Firmen solche „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ ein?
Horst Antonischki: Von den Kosten her schneiden zertifizierte Sicherheitsverpackungen schlechter ab als „Mogel-Sicherheitsverpackungen“. Das heißt erstens, dass zertifizierte Verpackungen minimal teuer sind als nicht zertifizierte und zweitens – und das ist meist der entscheidende Grund – dass zertifizierte kindergesicherte Verpackungen die Leistung der Abfülllinie drosseln, denn sie können nicht so schnell verschlossen werden wie „Mogel-Sicherheitsverpackungen“. In der Regel haben Unternehmen, die diese bequemere und kostengünstigere Methode praktizieren, in Europa auch wenig zu befürchten. Zwar ist es gesetzlich festgelegt, welche Produkte in zertifizierte kindergesicherten Verpackungen angeboten werden müssen, doch mir ist in Deutschland kein Fall bekannt, bei dem eine Firma angeklagt wurde, die sich nicht an diese Vorschrift gehalten hat.

Könnten diese Mehrkosten, die durch kindergesicherte Verpackungen entstehen, nicht indirekt als Marketingkosten angesehen werden? Firmen, die kindergesicherte und für Erwachsene unproblematisch zu öffnende Verpackungen einsetzen, könnten dies dich auch als Werbeargument benutzen. Ganz nach dem Motto: Wir sind verantwortungsbewusst.
Horst Antonischki: Hier sprechen Sie ein weiteres Problem an. Die Firmen, die sich vorbildlich verhalten und gefährliche Produkte in zertifizierten kindergesicherten und zugleich seniorenfreundlichen Verpackungen anbieten, kommunizieren ihr verantwortungsbewusstes Verhalten nicht – und dies aus folgenden Grund. Die Firmen fürchten, dass Konsumenten die Produkte nicht mehr kaufen, weil sie sie für gefährlich halten.
Mir ist übrigens auch ein umgekehrter Fall bekannt: ein Hersteller von Haushaltschemikalien hatte jahrelang ein heikles Produkt in einer kindergesicherten Verpackung im Angebot. Als dieser Hersteller vor einiger Zeit die Rezeptur des Produktes geändert hat, dass eine kindergesicherte Verpackung nicht mehr nötig gewesen wäre, hat er diese trotzdem weiterverwendet. Die Begründung lautete: Wenn diese Haushaltschemikalie nach Jahren plötzlich in einer normalen Verpackung angeboten werden würde, würden Konsumenten die Reinigungswirkung anzweifeln.

Wenn nicht nur die Medien und die von Vergiftungsunfällen betroffenen Familien schweigen, sonder sogar diejenigen Firmen, die kindergesicherte Verpackungen einsetzen, ist es kein Wunder, dass die Gefahr, die von bestimmten Haushaltschemikalien und Pharmaprodukten ausgeht, nicht realisiert wird. Welche Möglichkeiten gibt es, um auf dieses totgeschwiegene Problem aufmerksam zu machen?
Horst Antonischki: Wir fordern die Firmen, die ihre Verpackungen bei uns prüfen und zertifizieren lassen, immer wieder dazu auf, klar zu kommunizieren, dass sie geprüfte und zertifizierte kindergesicherte Verpackungen einsetzen. Das Verschweigen der Vergiftungsproblematik verharmlost die tatsächliche Situation. Diese Verharmlosung führt unter anderem dazu, dass manche Firmen die bereits erwähnten „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ einsetzen. Denn: Wenn man nichts über das Thema hört oder liest, dann existiert es in den Köpfen der Leute nicht. Und weshalb sollte eine Firma Aufwand für etwas betreiben, da offensichtlich nicht der Rede wert ist? Es ist also dringend notwendig, dass die Öffentlichkeit sensibilisiert wird und in Fällen, in denen sich Firmen nicht an die gesetzlichen Vorschriften halten, sollte meiner Meinung nach härter durchgegriffen werden. In den USA würde es sich kaum eine Firma erlauben, ihre heiklen Produkte in „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ anzubieten, denn dort ist die Angst vor möglichen Schadenersatzklagen viel zu groß. Zwar finde ich viele der dort geführten Prozesse in Sachsen Schadenersatz überzogen, doch dass das Verwenden von „Mogel-Sicherheitsverpackungen“ in Europa wie ein Kavaliersdelikt behandelt wird, ist für mich nicht nachvollziehbar. Erste Schritte in die richtige Richtung wurden bereits gemacht: Einige der in der EU gültigen Vorschriften wurden dahingehend verschärft, dass der Zwang, kindergesicherte Verpackungen einzusetzen, stärker wird.