Wie kindersicher sind Arzneimittel-Verpackungen wirklich?

Pack Report 10-2009

Zertifizierung sorgt für hohe Sicherheit

Nach Expertenmeinung vergiften sich in Deutschland im Haushalt jedes Jahr über 90.000 Kinder – vor allem Kleinkinder unter fünf Jahren. Viele von ihnen an Medikamenten. Was können Pharma- und Verpackungsindustrie tun, um diese Unfälle zu vermeiden? Die Lösung: Verpackungen entwickeln, die wirklich sicher sind – und dies auch mit einem Zertifikat belegen.

Auch wenn Eltern noch so sehr aufpassen, einige Gefahrenquellen lassen sich trotzdem nicht vollkommen ausschließen: Ein neugieriger Blick in die Einkaufstasche, ein schneller Griff – und schon verschwindet die Tablettenverpackung in geschickten Kinderhänden. Obwohl Medikamente immer gut „versteckt“ oder in abgeschlossenen oder für Kinder schwer zugänglichen Schränken aufbewahrt werden sollten – diese Vorsichtsmaßnahmen allein reichen nicht aus. Denn die Gefahren lauern häufig auch außerhalb der eigenen vier Wände: Die offene Medikamentenverpackung bei den Großeltern, die Hustensaftflasche bei Freunden. Erst im Juni mussten 22 Kinder eines Kindergartens ins Krankenhaus, weil sie von den schönen bunten Pillen aus der hübschen Schachtel „genascht“ hatten, die ein Gast in der Garderobe aus seinem Mantel verloren hatte. Wäre es für Eltern da nicht ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass Pharma- und Verpackungsindustrie alles daran setzen, ihren Kindern das Öffnen von Verpackungen so schwer wie möglich zu machen? Egal, um welche Medikamente es sich handelt? Jedoch können nur geprüfte und zertifizierte Verpackungen diese hohe Sicherheit garantieren. Diesen Nachweis erbringen so genannte Zertifizierungsstellen für kindergesicherte Verpackungen: Das 1975 gegründete ivm Institut VerpackungsMarktforschung GmbH (www.ivm-childsafe.de) ist heute europaweit eines von nur wenigen akkreditierten Instituten. Das Braunschweiger Unternehmen sorgt mit einem hohen Qualitätsstandard dafür, dass geprüfte Kindersicherungen weltweit akzeptiert werden. Zu den Kunden des Institutes zählen mittlerweile weltbekannte Unternehmen wie Bayer, Novartis, Ratiopharm, Boehringer-Ingelheim, Pfizer und viele mehr.

Um vom ivm–Institut nach der entsprechenden Norm zertifiziert zu werden, bedarf es einer Reihe von Tests. Damit die Ergebnisse so aussagekräftig wie möglich ausfallen, arbeitet das ivm beispielsweise regelmäßig mit Kindergärten zusammen. Hier überprüfen die Kleinen selbst, ob die kindergesicherten Verpackungen auch wirklich halten, was sie versprechen. Für einen dieser Tests versuchen Kleinkinder im Alter zwischen 42 und 51 Monaten fünf Minuten lang eine wiederverschließbare Verpackung zu öffnen – ohne, dass es ihnen vorher gezeigt oder erklärt wurde. Dabei überraschen die Mädchen und Jungen mit ungeahntem manuellen Geschick. Scheitern sie, bekommen sie den Öffnungsvorgang demonstriert. Dann dürfen sie es noch einmal fünf Minuten lang ausprobieren. Eine Packung gilt dann als kindergesichert, wenn es mindestens 80 Prozent einer Gruppe von bis zu 200 Kindern in zehn Minuten nicht gelingt, eine Packung zu öffnen oder an den Inhalt zu kommen. Kinder sind pfiffig und lernen schnell. Aus diesem Grund darf ein Kind an nicht mehr als zwei Prüfungen im Jahr teilnehmen. Zwischen den Tests muss außerdem mindestens eine Woche liegen.
Da Kinder unterschiedlich große Packungen auch unterschiedlich handhaben, ist ein guter Verschluss auf einer Flasche mit 100 ml noch lange kein Garant für Kindersicherheit bei einem Behälter mit 1000 ml. Da sie die kleine Flasche besser halten können als die große, haben sie mehr Kraft für den Verschluss – und schon ist er offen. Daher müssen bei einer Verpackungsfamilie sowohl der kleinste als auch der größte Behälter geprüft werden; die Zwischengrößen geltend dann als mitzertifiziert.

Aktuelle Entwicklung

Gemeinsam mit der Verpackungsindustrie konzipieren Pharmaunternehmen seit einiger Zeit Arzneimittelverpackungen, die Kinder – im Bestfall – nicht öffnen können. Sehr häufig werden beispielsweise Verschlüsse, z.B. für Hustensaft, eingesetzt, die nur durch gleichzeitiges Drücken und Drehen zu öffnen sind. Für Kinder ist dies schwer zu verstehen, außerdem fehlt ihnen die dazu nötige Koordinationsfähigkeit. Aber auch viele andere Systeme werden erfolgreich eingesetzt wie beispielsweise: Blister im Peel-, im Push- oder im Peel-Push-Verfahren. Interessanterweise öffnen Kinder Blisterpackungen sehr oft anders als Erwachsene: Während Erwachsene die Pillen zunächst herausdrücken wollen, versuchen Kleinkinder überwiegend durch „kratzen“ oder „pulen“ die Deckfolie zu entfernen. Daher bieten mehrschichtige Folien eine höhere Sicherheit, bei denen zunächst die oberste, schwer zu durchdringende Folie abgezogen wird, um dann die Pille durch die dünne Unterfolie, die allerdings auch mehrschichtig sein kann, herausdrücken zu können. Während eine normale Durchdrückfolie aus Aluminium nur eine Stärke von 20 µm auffweisen und mit Heißsiegellack beschichtet ist, sind Folien für kindergesicherte Blisterverpackungen deutlich aufwendiger und haben oft eine ergänzende PVC-Folie auf der Innenseite und halten so auch größeren Belastungen stand. Beim Dial-Blister kann die Kapsel erst dann herausgedrückt werden, wenn der Blister in die richtige Position gedreht wurde. Beim so genannten Slide-Blister ist der Blister auf der Oberseite einer Pappkarte fixiert. Auf der Rückseite befindet sich zwischen Blister und Papprückwand eine bewegliche Plastikscheibe. In der Grundposition der Plastikscheibe ist diese gegen den Blister verschoben und verhindert so das Herausdrücken.

Mit der richtigen Wahl der Folie ist schon der erste Schritt in Richtung Kindersicherheit getan. Von diesem ersten Schritte bis zu einer Verpackung, die auch als geprüft und kindergesichert zertifiziert werden kann, ist der Weg jedoch noch weit. Dr. Rolf Abelmann, ivm: „Um das Ziel der Kindersicherheit problemlos zu erreichen, ist es wichtig – sowohl auf Seiten der Verpackungshersteller als auch bei Abfüllern und Pharmaunternehmen – bereits in der Planungsphase mit Zertifizierungs-Experten zusammenzuarbeiten“. Das sei auch weniger aufwändig, als wenn eine Verpackung bereits fertig entwickelt wurde – um hinterher festzustellen, dass sie gewissen Ansprüchen nicht genügt. Eine spätere Anpassung kann häufig zu einer kostenintensiven Angelegenheit werden.

Sichere Lösungen verfügbar

Wer allerdings der Meinung ist, eine Blisterverpackung ist wegen des Einsatzes bestimmter Folien per se sicher, der liegt falsch. Es ist denkbar, dass eine Deckfolie in Kombination mit einer bestimmten Formfolie kindersicher ist; kombiniert mit einer anderen Formfolie jedoch nicht. Daher gibt es auch keine grundsätzlich kindergesicherte oder zertifizierte Deckfolie. Die sichere Funktion einer Blisterverpackung entsteht erst durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren wie Material, Festigkeit, Flexibilität etc. Insbesondere bei dieser Art der Verpackung ist in Zukunft mit einem noch höheren Sicherheitsniveau zu rechnen, d.h. der Trend geht teilweise hin zu noch komplexeren Öffnungsmechanismen als bei Peel-Push-Blistern.

Es gibt noch eine Reihe weiterer Lösungen für kindergesicherte Pharmaverpackungen wie Verschlussstopfen für Röhrenverpackungen, die brieftaschenartige Wallets oder Verpackungslösungen mit elektronischer Dosierfunktion, die gleichzeitig kindergesichert sind. Ein großer Faltschachtelhersteller hat eine Schachtel entwickeln, die durch einen Trickverschluss besonders kindersicher ist: Die Faltschachtel öffnet sich nur dann, wenn zwei dunkelblau gekennzeichnete Punkte gleichzeitig gedrückt werden. Die Kindersicherung ist damit bereits bei der Umverpackung gegeben.

Andere Länder, andere Regeln

In Deutschland müssen Arzneimittel mit bestimmten Wirkstoffen, die für Kinder gefährlich werden können, nach Paragraph 28 Arzneimittelgesetz kindersicher verpackt werden. Dr. Rolf Abelmann: „Allerdings wäre eine Orientierung unserer Bestimmungen an denen der USA wünschenswert. Denn die aktuellen Anordnungen bei uns aus dem Jahr 1984 sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Leider sind noch zu viele Verpackungen nicht geprüft und zertifiziert – und damit nicht kindergesichert“.
Im Vergleich dazu ist dies in den USA nahezu bei allen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der Fall. Ein anschauliches Beispiel für unterschiedliche Bestimmungen und Normen zwischen USA/Deutschland liefert die Blisterverpackung: So gilt sie in Deutschland als kindersicher, wenn es den Kleinkindern nicht gelingt, nacheinander mehr als acht Kapseln herauszunehmen. Die Statistiken zeigen jedoch, dass auch weniger als acht Tabletten ausreichen, um Kinder ernsthaft krank werden zu lassen. In den USA beschäftigt man sich bereits seit vielen Jahrzehnten mit dieser Thematik. Schon 1970 wurde dort die »Poisons Prevention Packaging Act« (PPPA), das Gesetz zur Verhinderung von Vergiftungen durch Verpackung, eingeführt. Basis dafür war eine Studie, die belegte, dass durch das Prinzip „Drücken und Drehen“ die Zahl der Vergiftungen von 183 auf 24 gesenkt werden konnte. Statistiken seit Anfang der 70er Jahre belegen einen Rückgang der Todesfälle durch Vergiftungen in den USA um mehr als 80 Prozent. Schätzungen gehen davon aus, dass diese Verbraucherschutzmaßnahmen mittlerweile etwa 1.000 Kleinkindern das Leben gerettet haben.

Für international tätige Unternehmen bedeuten diese von Land zu Land unterschiedlichen Gesetze und Normen gewisse Orientierungsschwierigkeiten. Hier stellt sich die Frage, wie sie den spezifischen Anforderungen einzelner Länder gerecht werden können. Da die meisten Hersteller von pharmazeutischen Produkten mit der Zunahme der Globalisierung auch den US-amerikanischen Markt im Auge haben, ist hier jedoch eine Verbesserung in Sicht.

Fazit: Sehr viele Arzneimittel sind für Kleinkinder so gefährlich, dass eine kindergesicherte Verpackung erforderlich ist. Die mangelnde Kennzeichnung zertifizierter Verpackungen kann zu gefährlichen Situationen führen. Denn auch die bereits erwähnten Drück-/Drehverschlüsse sind nur dann wirklich sicher, wenn sie von einem neutralen Institut geprüft und zertifiziert sind; alles andere sind „Mogelpackungen“.
Um Pharmaverpackungen für Blinde und Sehbehinderte sicher zu machen, wurde eigens ein Gesetz ins Leben gerufen, nach dem die Pharma-Verpackungen mit der so genannten Braille-Schrift versehen werden müssen. Neues Beispiel: Das Logo „Ohne Gentechnik“, das auf Lebensmittel-Verpackungen angebracht werden soll. Ist es da nicht naheliegend, Verpackungen wirklich gefährlicher Produkte mit der Zertifizierung „kindergesichert“ zu versehen? Damit die Eltern auf einen Blick erkennen können: Diese Verpackung ist nicht nur „theoretisch“ kindersicher!

Hier die wichtigsten Normen auf einen Blick:

ISO 8317 für wiederverschließbare kindergesicherte Verpackungen

DIN EN 862 für nicht wiederverschließbare kindergesicherte Verpackungen für nicht pharmazeutische Produkte

DIN EN 14375 für nicht wiederverschließbare kindergesicherte Verpackungen für pharmazeutische Produkte

Diese Normen sind nahezu – mit Ausnahme der USA – weltweit anerkannt
Im Vergleich dazu in den USA: US 16 CFR § 1700.20, unabhängig von der Art der zu verpackenden Produkte (pharmazeutisch oder nicht pharmazeutisch) und des Verschlusssystems (wiederverschließbar oder nicht wieder verschließbar)

DIN EN 45011 für Zertifizierungsstellen: Institute die kindergesicherte Verpackungen prüfen und zertifizieren müssen dieser Norm entsprechen.