Arzneimittelverpackung – kindersicher und seniorenfreundlich

Swiss Packaging Newsletter 03-2008

Neuartige Verpackungen für Medikamente sollen zum einen kindersicher, zum anderen für Erwachsene leicht zu öffnen sein. Aktuelle Entwicklungen wie Dial-Blister, Slide-Pack, Medi-Lock-Box und Blister mit kindersicherer Folie sollen diesem Anspruch gerecht werden.

Oftmals beweisen bereits die Kleinsten unerwartete Fertigkeiten und grosses Geschick, um an den verführerisch anmutenden Inhalt von Arzneimittelverpackungen zu gelangen. Dieser kindliche Wissens- und Tatendrang kann schwerwiegende und gefährliche Folgen haben. Jährlich erleiden etwa 100.000 Kinder Vergiftungsunfälle. 10.000 davon müssen im Krankenhaus behandelt werden, in 500 Fällen ist der Verlauf lebensbedrohlich.
Besonders gefährdet sind dabei Kleinkinder im Alter zwischen 10 und 54 Monaten, da diese ihre Umwelt durch Lutschen und Kauen erkunden und dabei vieles in den Mund stecken oder herunterschlucken. Speziell die attraktive Aufmachung zahlreicher Arzneimittelverpackungen sowie die in ihrer äusseren Erscheinung Produkten der Süsswarenindustrie nicht unähnlichen festen oralen Darreichungsformen machen diese für Kinder besonders reizvoll. Auch die Tatsache, dass viele Medikamente zunächst süss schmecken und demzufolge nicht gleich wieder ausgespuckt werden, machen Arzneimittel in Kinderhänden ausserordentlich gefährlich.

USA als Vorreiter
In den USA kamen bereits vor mehr als 50 Jahren infolge zahlreicher Vergiftungsunfälle von Kindern unter fünf Jahren mit Haushaltschemikalien und Medikamenten erste Forderungen von Kinderärzten hinsichtlich einer Verbesserung des Schutzes von Kindern auf. Ein erster Beschluss, die Anzahl der Tabletten pro Packung zu limitieren, reduzierte zwar die Schwere der Vergiftungen, nicht jedoch die Zahl der Unfälle. Daher sollte mithilfe der Verpackung dafür gesorgt werden, dass Kinder nicht an den gefährlichen Inhalt gelangen. Erste unabhängige Studien mit so genanntenDrück-Dreh-Verschlüssen verringerten die Zahl der Vergiftungen deutlich. Ähnliche Studien ausserhalb der USA zeigten vergleichbare Resultate. Die Ergebnisse führten 1970 in den USA zur Einführung des «Poisons Prevention Packaging Act» (PPPA), der weltweit ersten Vorschrift, die sich der Thematik der kindersicheren Verpackung von potenziell gesundheitsgefährdenden Substanzen widmet. Sie beinhaltet eine erste allgemeine, noch heute gültige Definition für kindergesicherte Verpackungen (siehe Kasten).

Auszug aus dem Poisons Prevention Packaging Act
Spezialverpackungen sind so herzustellen oder entwerfen, dass es Kindern unter fünf Jahren deutlich erschwert wird, diese innerhalb einer gewissen Zeit zu öffnen oder Zugang zu einer toxischen oder gesundheitsgefährdenden Menge der enthaltenen Substanz zu erlangen, gleichzeitig aber einem durchschnittlichen Erwachsenen den ordnungsgemässen Gebrauch nicht erschwert. Dies bedeutet aber nicht, dass die Verpackung von Kindern nicht geöffnet werden könnte beziehungsweise sie nicht an deren Inhalt gelangen liesse.

In Europa gab es ähnliche Bestrebungen, gemessen an den USA allerdings bis heute mit zeitlicher Verzögerung. Im PPPA sind sowohl die Anforderungen an kindersichere Verpackungen definiert, als auch eine Liste der Substanzen enthalten, die kindersicher verpackt werden müssen. In Europa gibt es hingegen verschiedene Normen, die diese Sachverhalte regeln. So finden sich in den EU-Richtlinien 1999/45 (Zubereitungsrichtlinie) und 1967/548 Listen von Substanzen und Zubereitungen, für die kindersichere Verpackungen vorgeschrieben sind. In der Bundesrepublik wurden diese Richtlinien über die Gefahrstoffverordnung in nationales Recht überführt. Arzneimittel sind von den Vorschriften der genannten EU-Richtlinien jedoch explizit ausgenommen (5, 6). Allerdings finden sich im § 28 des Arzneimittelgesetzes (AMG) relevante Normen hinsichtlich der kindersicheren Verpackung von Arzneimitteln. Dieser Paragraph ermächtigt die zuständige Bundesoberbehörde, die Zulassung mit Auflagen zu verknüpfen, um sicherzustellen, dass das Arzneimittel in einem Behältnis mit bestimmter Form, bestimmtem Verschluss oder sonstiger Sicherheitsvorkehrung in den Verkehr gebracht wird, soweit es geboten ist, um die Einhaltung der Dosierungsanleitung zu gewährleisten oder um die Gefahr des Missbrauchs durch Kinder zu verhindern. Einen Auszug der in der entsprechenden Verordnung der Bundesoberbehörde genannten Arzneistoffe, die kindersicher verpackt werden müssen, ist in der Tabelle dargestellt.

analgetische und antitussive Morphinabkömmlinge Dihydrocodein, Hydrocodon, Morphin, Noscapin
Antidepressiva und Stoffe zur Veränderung des Antriebsniveaus Amitryptilin, Desipramin, Doxepin, Lithiumsalze, Maprotilin, Opipramol
Sedativa beziehungsweise Hypnotika Alkalibromide, Erdalkalibromide, Primidon, Pyrithyldion
Eisenpräparate Eisen in Form von Fe(II)- oder Fe (III)-Verbindungen

Die Anforderungen, die in Europa an kindergesicherte Verpackungen gestellt werden (je nachdem, ob es sich um eine wieder oder nicht wieder verschliessbare Verpackung handelt), finden sich in den Normen DIN EN ISO 8317 und DIN EN 862.
Da Letztere nicht für pharmazeutische Produkte zur Anwendung kommt, wird sie hier nicht näher betrachtet. Für nicht wieder verschliessbare Verpackungen für Pharmazeutika gilt stattdessen die DIN EN 14375.

DIN EN ISO 8317
Gemäss der DIN EN ISO 8317 Vorschrift für wieder verschliessbare Arzneimittelverpackungen erfolgt die Prüfung an zwei verschiedenen Personenkollektiven, um einerseits auf Kindersicherheit, anderseits auf Seniorenfreundlichkeit zu prüfen. Die Prüfung hat an mindestens drei unterschiedlichen Prüforten stattzufinden und muss von drei verschiedenen Prüfern durchgeführt werden. Die Prüfung auf Kindersicherheit erfolgt mit Kleinkindern im Alter von 42 bis 51 Monaten, von denen je die Hälfte weiblich beziehungsweise männlich sein soll. Die Prüfung findet in einer den Kinder vertrauten Umgebung wie im Kindergarten statt, erfolgt aber räumlich getrennt von anderen Kindern und in Abwesenheit der Eltern. Bei den Prüfpackungen handelt es sich um aus der laufenden Produktion entnommene Packungen, die mit einer ungefährlichen Ersatzsubstanz gefüllt werden. Diese Packungen werden vor der Prüfung durch entsprechend geschultes Personal einmal geöffnet und wieder richtig verschlossen. Um unerwünschte Lerneffekte zu vermeiden, dürfen die Kinder an nicht mehr als zwei Prüfungen pro Jahr mit unterschiedlichen Packungen teilnehmen. Die Kinder werden paarweise fünf Minuten lang wiederholt dazu aufgefordert, die Packung zu öffnen. Gelingt es den Kindern während dieser fünf Minuten nicht, die Packung zu öffnen, wird ihnen der Öffnungsvorgang vom Prüfpersonal demonstriert, allerdings ohne Hinweise oder gezielte Erklärungen (= verdeckte Demonstration). Danach haben die Kinder erneut 5 fünf Minuten Zeit, um die Verpackung zu öffnen. Die Packung gilt als kindersicher, wenn vor der Demonstration in den ersten fünf Minuten mindestens 85 Prozent der Kinder und nach Demonstration mindestens 80 Prozent der Kinder nicht in der Lage waren, die Verpackung zu öffnen. Dabei erfolgt die Auswertung nach dem Sequenzialverfahren, um die Anzahl der benötigten Kinder zu reduzieren. Bei diesem Verfahren wird das Ergebnis jeder einzelnen Prüfung unmittelbar nach der Prüfung in einem vorgegebenen Schemata eingetragen. Bei Öffnung der Verpackung durch das Kind wird das Kästchen im  Sequentialtableau oberhalb vom vorherigen ausgefüllt, falls das Kind die Packung im vorgegebenen Zeitraum nicht öffnen konnte, wird das Kästchen rechts dem der vorherigen Prüfung gekennzeichnet. Der Korridor der möglichen Ergebnisse nimmt einen treppenförmigen Verlauf mit einer oberen und unteren Grenze. Wird die obere Grenze erreicht, gilt die Prüfung als «nicht bestanden», wohingegen bei Erreichen der unteren Grenze die Prüfung als «bestanden» gilt. Die Seniorenfreundlichkeit wird an Testpersonen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren getestet. Die früher geltende Norm zog noch Erwachsene im Alter zwischen 18 und 65 Jahren zur Prüfung heran, was zur Folge hatte, dass Verpackungen als Erwachsenen beziehungsweise seniorenfreundlich eingestuft wurden, die besonders von Personen in fortgeschrittenem Lebensalter trotzdem nur schwer zu öffnen waren. Die neue Festsetzung des Alters der Testpersonen trägt dem Rechnung. Den Probanden wird eine schriftliche Anleitung zum Öffnen der Verpackung vorgelegt, danach haben diese ebenfalls fünf Minuten Zeit, um die Packung zu öffnen. Sollte es eine Testperson in der vorgegebenen Zeit nicht schaffen, die Verpackung zu öffnen, wird der Test mit einer normalen, nicht kindergesicherten Verpackung wiederholt, um zu überprüfen, ob eventuell generelle Probleme beim Öffnen von Verpackungen bestehen. Falls die Testperson es nicht schaffen sollte, diese Vergleichspackung binnen einer Minute zu öffnen, wird sie aus dem Test ausgeschlossen, sollte sie es hingegen schaffen, die «ungesicherte» Verpackung zu öffnen, wird dies als negatives Ergebnis für die Seniorenfreundlichkeit der zu testenden Verpackung verbucht. Wurde die Packung erfolgreich geöffnet, wird der Proband aufgefordert, die Packung wieder ordnungsgemäss zu verschliessen, um zu überprüfen, ob er erkennt, wann der sichere Wiederverschluss erreicht ist. Diese Seniorenfreundlichkeitsprüfung gilt als bestanden, wenn mindestens 90 Prozent der getesteten Personen die Verpackung binnen einer Minute erfolgreich öffnen und wieder korrekt verschliessen können.

DIN EN 14375
Der Ablauf der Prüfung für nicht wieder verschliessbare Arzneimittelverpackungen nach DIN EN 14375 sowie Anzahl und Alter der Testpersonen entsprechen der Prüfung gemäss DIN EN ISO 8317. Untersucht werden hierbei vor allem Blister. Zur Diskussion steht immer noch die Anzahl der Einheiten (Tabletten), derer sich die Kinder bei der Prüfung der Verpackung bemächtigen dürfen, damit die Prüfung als nicht bestanden gilt. In der derzeit gültigen Form der Norm gilt eine Grenze von acht Einheiten, unterhalb der der Blister als kindersicher eingestuft wird, unabhängig von der Dosis und der Toxizität des Medikamentes. Ganz anders sind die gesetzlichen Bestimmungen in den USA. Dort dürfen sich Kinder keinen Zugang zu einer Dosis verschaffen, die ernsthafte Schäden bewirken kann. Dies ist jedoch bereits bei wenigen Einheiten, im Extremfall bei nur einer Tablette möglich. Aus diesem Grund haben sich der Verbraucherrat, das BfArM sowie die Giftinformationszentralen der Bundesrepublik gegen die Annahme dieser Norm ausgesprochen und gefordert, die Anzahl der Tabletten, die ein Kind entnehmen darf, herabzusetzen In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es ein Trugschluss ist, zu glauben, dass Arzneimittel deren Blisterstreifen weniger als acht Dosiseinheiten umfasst, nicht kindergesichert sein müssten oder sogar automatisch als kindersicher gelten. Denn auch für diese gilt, dass im Test mindestens zehn Dosiseinheiten vorgelegt werden müssen. Die Packung gilt als seniorenfreundlich, wenn im Einminutentest Zugang zu mindestens einer Dosiseinheit geschaffen werden kann.

Aktuelle Entwicklungen

Beim Dial-Blister ist jede Kapsel einzeln verblistert. Durch das Abreissen der Plastiklasche rechts von der Kapsel, wird der Blister aus seiner Verankerung freigegeben und frei drehbar Erst wenn der Blister in die richtige Position gedreht wurde, nämlich so, dass die Kapsel vertikal entsprechend den gelben Pfeilen ausgerichtet ist, stimmt die Kapselausrichtung mit der Perforation der Sollbruchstelle des Blisters überein und die Kapsel kann nach hinten herausgedrückt werden.Beim so genannten Slide-Pack handelt es sich um die Spezialform eines Wallets. Der Blister ist auf der Oberseite in einer Pappkarte fixiert. Auf der Rückseite befindet sich zwischen Blister und Papprückwand eine bewegliche Plastikscheibe . In der Plastikscheibe und Papprückwand des Wallets befinden sich vorgestanzte Öffnungen, durch die die Tabletten herausgedrückt werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Plastikscheibe mit dem Finger in Pfeilrichtung nach rechts bewegt und während des Herausdrückens in dieser Position gehalten wird, da nur in dieser Position der Tablettennapf, die Öffnung der Plastikscheibe und die des Pappkartons deckungsgleich zum Liegen kommen. In der Grundposition der Plastikscheibe in diese gegen den Blister verschoben und verhindert so ein Herausdrücken der Arzneiform aus dem Blister. Ein Beispiel für eine kindersichere Sekundärverpackung ist die Medi-Lock-Box. Durch den benötigten Kraftaufwand und die erforderliche Fingerfertigkeit wird Kindern das Öffnen der Verpackung erschwert. Dabei wird zuerst der Druckknopf auf der Frontseite der Box betätigt und der Deckel dabei leicht angehoben, anschliessend werden mit Daumen und Zeigefinger zwei weitere Druckpunkte auf den Schmalseiten der Box gedrückt gehalten und der Deckel komplett geöffnet. Zwar sind die bisher vorgestellten Methoden beziehungsweise Modelle zielführend, jedoch ist der Produktionsprozess relativ kompliziert und demzufolge teuer. Eine wesentlich einfachere und sicherlich praktikablere Variante, den Inhalt von Arzneimittelverpackungen vor dem Zugriff von Kindern zu schützen, sind Blister mit so genannter kindersicherer Deckfolie. Kindersichere Deckmaterialien bestehen aus einer Aluminiumfolie, kaschiert mit einer Reihe anderer Folien. Sorgfältig aufeinander abgestimmte Haftkräfte zwischen den Verbundlagen dienen dazu, die gewünschten, für das Endprodukt notwendigen Eigenschaften wie Peelen/Durchdrücken, Aufpeelen oder Aufreissen, zu erreichen. Häufig handelt es sich dabei um Laminate mit Polyester- und Polyamidfolien, die den nötigen Druckwiderstand und gute Peelbarkeit liefern, allerdings gibt es eine relativ grosse Bandbreite kindersicherer Deckfolienverbunde für Blisterpackungen sowohl in der peelbaren als auch in der Peel-Push-Variante. Diese drei genannten unterschiedlichen Ausprägungen von Blistern mit kindersicherer Deckfolie unterscheiden sich leicht in den schrittweise aufeinander folgenden Handgriffen zum Öffnen des Blisters:

– Peel-/Durchdrückversion
(Peel-Push-Blister )
– Aufreissversion
(Tear-Blister )
– Aufpeelversion
(Peel-Blister

Fazit
Die Verpackungsindustrie entwickelt gemeinsam mit der Pharmabranche kreative und vor allem zunehmend einfacher herzustellende und handzuhabende Verpackungen. Dies dient zum einen dazu, die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen, zum anderen wird damit dem natürlichen Interesse Rechnung getragen, Kinder vor schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Vergiftungen zu schützen. Erschienen in pharmazeutische-zeitung.de

Anschrift des Verfassers:
Andreas S. Ziegler
Flurstrasse 2
90613 Grosshabersdorf
andreas.s.ziegler@gmx.de

Literatur

1. Der grüne Saft schmeckt komisch, Vergiftungsunfälle bei Kindern, pressedienst
das gesunde Kind pgk, Jg. 39, 5/6 (2005)

2. Damit kindliche Neugier nicht gefährlichwird. Wirksamer Schutz durch kindergesicherte
Pharmaverpackungen Close-up Ausgabe 1/2004

3. Bundesvereinigung für Gesundheit e. V. und Informationszentrale gegen Vergiftungen,
Bonn für die Bundesarbeitsgemeinschaft «Kindersicherheit»

4. Kindergesicherte und seniorengerechte Verpackung: Zwei Generationen, ein
Thema Horst Antoschinski

5. EU-Richtlinien 1999/45

6. EU-Richtlinien 1967/548

7. 14. AMG-Novelle gültig ab 06.09.2005

8. Kindergesicherte Verpackung für Arzneimittel, Anordnung einer Auflage nach
§ 28 AMG vom 17.09.1984

9. www.childproofpackaging.com/seq/[10] DIN Deutsches Institut für Normung e.V. 2004

10. US Environmentoal Protecting gency: Colbert Packaging Corporation: PharmaDial

11. US Environmentoal Protecting Agency: Cardinal Health: Slide Pack

12. US Environmentoal Protecting Agency: Intini Marketing Inc. Medi-Lock

13. Alcan Packaging Singen GmbH, www.alcanpackaging.com